Review
 
 
Medium:MC
Jahr:1996
Tracks:10
Spielzeit:53:56
Bezug:Christian Baum, Weidenstr. 6, 77933 Lahr
Mehr von Christian Baum:
Janus (2003)
Made in England (1998)
Dedications (1996)
2 Bewertungen:
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Pkt 012345678910
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Christian Baum: Dedications

von Andreas Winterer

Dedications ist derzeit die einzige von Christian erhältliche Kassette. Wer melodiöse, ruhige Stücke sucht, die irgendwo in der Nähe eines etwas komplexer gemachten Kitaro liegen, bekommt hier das Richtige zu hören.

War: Erwartungsgemäß atmosphärisch beginnt War, ein ideen- und abwechslungsreiches Stück, daß aber wohl nicht ganz der Idee entspricht: Mir ist es ehrlich gesagt zu feurig marschierend und dabei angesichts des Titels nicht æWarÆ genug, und auch nicht so kühl und metallisch, wie der Musiker selbst glaubt.
Krieg ist Zerstörung, die fehlt mir hier. Die Musik marschiert auf, sie bricht aber nicht zusammen, sie mordet nicht. Ich sehe aber gerne ein, daß man in einen Songtitel auch zuviel hinein interpretieren kann :-).

The Hurling: Das freundliche kleine Liedchen klingt mit seinem klassischem Aufbau und den Kunststoffsounds ein bißchen wie Game-Musik, leider vom Sound her etwas flach arrangiert und instrumentiert. Es schließt mit einem sehr ungenügenden Ende, ist aber sonst nicht schlecht.

Plastic Age: Noch ein nettes kleines Liedchen mit klassischen Harmonien, auch hier im Stil von Game-Musik. Seltsam fand ich die unvermittelten Pausen, die das Thema zwar anschließend wieder aufgreifen, aber mich irgendwie nicht befriedigt haben, weil mir der rote Faden fehlte.

Happy Day: Dieses eher ruhige Stück sagt "Ich habe einen Sampler", indem es die Bassline durch ein Kraftwerk-Hörern nicht unbekanntes "Boing-Bumm-Tschak" ersetzt. Ist okay, gefällt mir aber erst in der Mitte, wenn die seltsamen Schwebungen einsetzen. Der Titel widerspricht leider der Melodie, ich hätte das ganze eher Melancholischer Gang in die Arbeit genannt.

Emotion: Ein richtiger Knaller zum Abschluß der A-Seite, russisches Feeling goes Dance. Was mir hier vor allem gefällt, ist die gelungene Instrumentierung (bis zum Punkt, wo schon wieder der zu oft verwendete Föhn-Sound einsetzt). Mir unverständlich: Die Glocken am Ende - oder höre ich am Ende der Emotion die Kirchenglocken läuten...?
(Wie hieß das Mädchen? :-)

Hovering over Clouds: Auf der B-Seite zwitschert mir erst mal der Urwald entgegen, passend dazu kommen Dschungel-Drums und dann eine Melodie, die zwar mal wieder herzergreifend ist, aber im Zusammenspiel einen etwas kitschigen Sound hat.
Das Stück ist irgendwie leicht und hübsch, keine Frage: Im Film würde ich damit die Szene unterlegen, in der man ohne Dialoge und mit vielen Schnitten darstellt, daß das junge Liebespaar drei wunderbare Wochen am Strand verbringt und sich näherkommt. Sein liebloses Ending hat der Song allerdings nicht verdient.

White beach: Das Liebespaar aus Hovering over Clouds hat sich im Streit getrennt und schlendert, sich im Stillen längst verziehn habend, an den gegenüberliegenden Seiten einer Strandpromenade umher, um sich aus der Ferne einander verstohlen zuzusehnen.
Ist mir dann doch auf heftigste Weise zu süßlich, der Sound ist zu vollgedröhnt und dank Überorchestrierung auch matschig. Hier besonders auffällig: Eine schnell gespielte Melodie wird auf ein Instrument gelegt, dessen lange Attack es für die Melodie ungeeignet macht und diese somit auf wacklige Beine stellt. Aus dem Song wäre bei anderer und vor allem schlichterer Klangwahl sicher weit mehr zu machen gewesen.

To drop a brick: Ein bißchen Jazzy kommt dieses Stück daher und klingt die ersten Takte sehr vielversprechend, und auch einige andere Stellen sind vom Piano her gelungen. Leider scheitert das Ambiente an der trockenen Beatbox, die wie aus der Casio-Einfinger-Begleitung klingt (sorry), und auch die Melodien hätte man hier besser nicht an die elektronisch klingenden Instrumente verschwendet, sondern mehr an E-Piano, Rhodes und Hammond/Blues-Orgel.

Nein, da ist mir etwas ehrlich-elektronisches wie The Hurling schon lieber. Ich denke, To drop a brick krankt vor allem am Jazz-Beat und der entstehenden Erwartungshaltung, der es musikalisch nichts entsprechendes bieten kann. Ich denke, der Einsatz einer Blues-Tonleiter und einem fetten Walking Bass hätte hier schon viel rausgerissen.

The world in your eyes klingt anfangs wie eines dieser Stücke, die mit einem langen und aufwendigen Haudraufsounds-Intro daherkommen und die einen dann oft enttäuschen. Nicht so hier, denn auch wenn da im Prinzip noch so manches im Detail und in der Struktur zu feilen sein mag und die seltsamen Pausen (wie bei Plastic Age) etwas willkürlich erscheinen, zeigt dieses Stück nichtsdestoweniger in meinen Augen enorm viel Können und noch mehr Potential.
Noch vor Emotion ist es mein absoluter Favourite von Christians MC, ein Song mit hohem Wiedererkennungswert, der es zu recht auf die Hidden Treasures Vol. I geschafft hat.

Silence over the battlefield: Mit diesem Stück schließt sich der Kreis, der mit War beginnt. Obwohl sehr klassisch und ohne viel Mut zu musikalischem Risiko gemacht, halte ich auch dieses Stück (abgesehen vom Mittelteil) für eine Perle, zumal es zum großen Teil kontrastreicher instrumentiert ist als bei Baum üblich.

Fazit:
Insgesamt macht Christian Baum eine handwerklich fortgeschrittene, vom Feeling her sehr schöne Musik mit eingängigen und flotten Grooves auf der einen Seite und aufwendigen Melodien in klassischen Harmonien auf der anderen.

Obwohl das Ergebnis mir zum Teil einfach zu süßlich ist, hat mir vor allem das Melodiöse in seiner Musik gefallen, da es der meisten EM aus verschiedenen Gründen (Können, Wollen) fehlt und hier mit viel Engagement und Können eingesetzt ist.

An der Instrumentierung, also der Wahl und der Entwicklung von individuellen Klängen kann in meinen Augen noch reichlich gearbeitet werden: Die eine oder andere Melodie käme sicher nicht nur in meinen Ohren besser, wenn ihnen nicht die Wabersounds mit langen Attacks im Wege stünden. Während zum Beispiel Digital Art (Kritik folgt) scharfe Klänge bevorzugt, sind es bei Baum überwiegend weiche: In beiden Fällen fehlt mir persönlich der Kontrast, bei soviel Weichklang wird das Ganze zu sahnig. (BTW: Ein gutes Beispiel für ausgewogene Instrumentierung ist imho Jürgen Novotnys Fly, Kritik folgt.)

Auch fehlen mir klangliche Abwege: Am ehesten machen sich hier Happy Day und The world in your eyes die Mühe, aus dem gewohnten Sound auszubrechen, aber War und Silence over the battlefield hätten mehr klangliche Wagnisse vertragen.

Die Stärke der Musik von Christian Baum liegt eindeutig im Melodiösen. Das ist oft besser als die Werke der reinen Soundtüftler, die einen ungewöhnlichen Klang nach dem anderen abschießen müssen, um nicht zu langweilen. Ich denke deswegen, daß man auf sein nächstes Werk mit Spannung warten darf.