MEMI Software-Test

 

Native Instruments Reaktor 3

Modularer Software-Synthesizer

 

Hersteller/Vertrieb Art der Software erhältlich für Preis
Native Instruments Modularer Softsynth Windows € 459,-
    MacOS 9.x  

 

Als mir das Reaktor-Paket auf die Festplatte flatterte, ahnte ich noch nicht wirklich, was mich erwartete. Natürlich weiß man um Künstler wie Richard Devine, die diese Software auch live und zum Improvisieren benutzen. Aber welche Möglichkeiten einem hier offen stehen, kann nur begreifen, wer sich wirklich intensiv mit diesem Programm befasst hat, und selbst dann hat man noch lange nicht das gesamte Potential dieses Tools ausgeschöpft und möglicherweise erst einen Bruchteil überhaupt erforscht. Und genau hier liegt für mich die Faszination von Reaktor: Man kann zwar auch "nur" mit den mitgelieferten "Preset"-Sounds und -Ensembles glücklich werden, aber es steckt sehr viel mehr in diesem Karton - nämlich ein Tool für absolute Soundfetischisten und -individualisten, Synthesizer-Frickler, aber auch für Leute, die lediglich die Presets der eigentlichen Instrumente verwenden und abändern wollen - denn davon gibt es zuhauf, und mit atemberaubenden Sounds. Da ich die vorherige Version 2.x nicht kenne, werde ich mich in diesem Test auf meinen "jungfräulichen" Eindruck der neuen Windows-Version konzentrieren und weniger auf die neuen Features eingehen (derer es sehr viele gibt).

Installation

Die Installation geht quasi von selbst – erst Reaktor installieren, dann den Dongle anschließen, erkennen und installieren lassen, und schon startet man das Programm zum ersten Mal. Auf der CD finden sich auch noch etliche NI-Produkte als Demos, z.B. B4 und Pro-52. Im Gegensatz zu den eben genannten, die der Vintage-Line zuzuordnen sind, ist Reaktor ein Teil der "Future"-Reihe von Native Instruments. Diese Überbezeichnung ist gut getroffen, denn der User kann in der Tat Sachen realisieren, die zuvor unmöglich waren, und Ensembles bauen, deren Klang in der Tat futuristisch ist.

Erste Schritte

Das Getting Started-Kapitel im Handbuch ist leicht verständlich geschrieben und bringt einem die Grundbausteine von Reaktor schnell nahe, jedoch wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es mit Anwählen von Presets nicht getan ist, will man ein derart vielfältiges Programm voll ausschöpfen. Doch Gott sei Dank kann man mit Reaktor, auch ohne den virtuellen Lötkolben zu aktivieren, hervorragend Musik machen: Schon die mitgelieferte Library an Instruments und Ensembles ist überzeugend. Sie demonstriert die Vielseitigkeit dieser Software perfekt, da die diversen Abteilungen – Sampler, Effektgerät, FM-Synthese – mit entsprechenden Konstruktionen abgedeckt sind. Besonders gut gefallen hat mir hier der "Simulant", ein auf perkussive Sounds ausgelegter Sampler mit anschlagsstärke-gesteuertem Filter - exquisiter Stoff "right out of the box"!
Auch einfachere Instrumente wie z.B. der Sampler Filter oder der Sampler ADSR und Diletant, demonstrieren auch dem Anfänger auf beeindruckende Weise, wie aus einfachstem Ausgangsmaterial – z.B. einige Tuba-Samples - und einigen ADSR-Filtern bzw. Hüllkurven Sound manipuliert werden kann. Einige Neulinge lassen sich vielleicht schon bei diesen Ensembles inspirieren, eigene Module hinzuzufügen. Und dann gibt es ja auch noch die von Benutzern gebauten Instrumente in der User Library auf der Native Instruments-Website. Die Anzahl der in der hier downloadbaren Ensembles hat vor Kurzem die magische Schallmauer von 1000 durchbrochen. Da findet man wirklich alles, was das Herz begehrt, von antiquierten Drummachine-Emulationen à la ReBirth bis zu ausgefuchstesten Kombinationen und Instrumenten wie etwa der Chop-Factory.

Selbermachen!

Um selber Ensembles zusammenzustellen, muss man wissen, wie die Level-Hierarchie der Bestandteile von Reaktor aussieht: Direkt unter den komplexen Ensembles stehen die Instruments - dies sind z.B. komplette Delay-Effektgeräte, Synthesizer oder Sampler. Eine stattliche Sammlung derselben wird bei der Installation auf die Festplatte in den Library-Ordner kopiert. Diese Instruments können ihrerseits aus einzelnen Komponenten (so genannten Modulen) bestehen - wie z.B. Filter, Delays oder Shaper - jedoch können praktischerweise auch gleich Kombinationen derselben als Macros geladen und abgespeichert werden.
Drag&Drop zum Import von Soundfiles in die Sampler-Ensembles ist möglich; ein "Virtuelles Keyboard" würde jedoch das Anlegen einer Sample-Map ungemein erleichtern, da das Eintippen relativ umständlich ist. Besonders praktisch ist das Akai-Import-Feature, jedoch wäre hier eine Vorhör-Funktion für den Import hilfreich.

Reaktor-Ensembles sind im Wesentlichen auf zwei Arten dargestellt: Die "Panel"-Ansicht gleicht dem Bedienfeld eines Synthesiers, Drum-Machine o.ä. mit Knöpfen, Fadern etc; man kann aber auch eine Ebene tiefer gehen, indem man mit der rechten Maustaste auf das Panel klickt und "Structure" wählt. Denjenigen, die mit dem Logic-Environment vertraut sind, wird das sich öffnende Fenster mit den Verkabelungen entfernt bekannt vorkommen - hierbei handelt es sich um die Grundbausteine des jeweiligen Apparats, und wenn man mit der rechten Maustaste in das dunkelbraune Feld klickt, gelangt man zu dem Auswahlmenü zum Hinzufügen eben jener Module, Macros und schließlich ganzer Instrumente.

Diese Programm erfordert, will man es tatsächlich ganz ausschöpfen, ein hohes Maß an Einarbeitung und technischem Verständnis. Jedoch, und darin liegt genau sein Reiz, kann man auch mit vorhandenen Ensembles hervorragend Musik machen, indem man z.B. einfach eigene Samples importiert oder Einstellungen verändert. Wenn man an der Verkabelung selbst nichts verändert hat, sondern nur eigene Sounds abspeichern will, bedient man sich der sogenannten "Snapshots", die nur die jeweiligen Knopf- und Reglereinstellungen speichern. Dies macht einem den Einstieg sehr einfach - um richtig tief in das Programm einzusteigen, sollte man einiges an Zeit einplanen, doch dann wird man auch mit Klangerzeugern aufwarten können, die im wahrsten Sinne des Wortes einmalig sind.

Einige Details könnten besser gelöst sein – Im Structure-View könnte durch optische Verbesserungen bzw. mehr Farbe die Übersichtlichkeit erhöht werden; es könnte auch der optische Unterschied zwischen den Symbolanzeigen "Audio eingeschaltet" und "ausgeschaltet" besser hervorgehoben werden, so dass besser zu erkennen ist, ob ein Signal anliegt. Beim Bauen neuer Ensembles und auch wenn man existierende Ensembles verändert, werden die neuen Knöpfe und Regler im "Panel"-View übereinander und ineinander dargestellt, so dass man diese völlig neu anordnen muss - hier sollte man noch nachbessern, so dass neue Elemente sofort leicht sichtbar nebeneinander im Panel platziert sind. Mir passierte das beim Abändern eines Ensembles, und ich kam lange nicht darauf, dass ein von mir kopiertes Modul im Panel-View exakt auf dem Originalmodul zu liegen kam und dieses so verdeckte.

Anbindung und Praxis

Die Einbindung in Ableton Live als VST-Plugin funktionierte einwandfrei, und das gleiche gilt für Logic Audio - auch mit mehreren Instanzen in einem Song. Hierbei kann man den Reaktor sowohl als VST-Instrument als auch in Effekt-Inserts benutzen. Gerade für Gitarrenaufnahmen konnte ich hier einige abgefahrene Sounds realisieren. Aufgrund der modularen Struktur ist Reaktor allerdings nicht automatisierbar. Ich testete auf einem alten PIII 600 Mhz-Rechner, und die Software lief sehr zuverlässig. Den Dongle schloss ich an einen USB-Hub an und auch das funktionierte ohne Probleme. Die Stabilität des Reaktor ist vorbildlich. Und auch im Dual-Monitor-Betrieb machte er keine Zicken – und bei den vielen gleichzeitig geöffneten Fenstern ist mehr Bildschirmfläche oft ein Segen!

Ein sehr praxisgerechtes und daher willkommenes Detail bei Reaktor als VST-Instrument in Logic ist die Frage beim Schließen des Logic-Songs, ob das Ensemble ebenfalls gespeichert werden soll. Besonders wenn man den Sequenzer schließt und nicht an den Reaktor denkt, kann man durch diese Erinnerung "verlorene" Arbeit bzw. Einstellungen vermeiden. Man kann also sogar in Logic an Reaktor-Ensemblestrukture feilen - z.B. in eine Effektinsert-Reaktor-Instanz einen Effekt einfügen, ausprobieren, löschen, einen anderen versuchen - und danach abspeichern! Hervorragend.

Einige besonders gelungene Ensembles sind z.B. der Virtuator - ein Synthesizer mit unglaublich spacigen Sounds. Beispiele können über die Snapshots geladen werden – unbedingt ausprobieren! Der Simulant dagegen ist ein mit Anschlagsstärke-gesteuerten Filtern ausgestatteter Sampler speziell für perkussive Sounds, während sein Bruder Stimulant auf Flächen spezialisiert ist.

Das wie gesagt leicht verständlich geschriebene Handbuch enthält eine Einführung und darüber hinaus nicht nur ein Step-by-step-Anleitung zum "Instrumentenbau", sondern auch die Transformator-Tour, ausführliche Erkläuterungen zu den mitgelieferten Ensembles und ein "Modul-Lexikon".

Wer sich ernsthaft mit Soundsynthese und -design auseinandersetzt, einschließlich Echtzeit-Effektgeräten für "echte" Instrumente, kommt kaum um dieses vielseitige Instrument herum, und wer das nötige technische Verständnis mitbringt, kann sich Instrumente genau nach seinen Vorstellungen zusammenschrauben. Nicht umsonst schwören Produzenten wie Squarepusher auf diese NI-Software. Bald steht noch das Update auf Version 3.3 ins Haus, das nicht nur einen Performancegewinn, sondern auch Erleichterung beim Editieren und bei der Bedienung bringen soll. Logisch, dass solch ein vielschichtiges Programm Resourcen frisst, man sollte also mit einem entsprechend schnellen Rechner arbeiten.

Fazit

Selten habe ich ein so vielschichtiges, komplexes und vor allem flexibles Instrument gesehen. Reaktor ist das State-of-the-Art Soundtüftler-Tool, und mit den zu erwartenden Verbesserungen im 3.3-Update, das für Version 3-Benutzer kostenlos sein wird, wird diese Software mit Sicherheit unschlagbar. Hier kann man nur empfehlen: Kaufen - denn etwas Vergleichbares gibt es sonst nirgendwo.

Pro

  • Vielseitigkeit
  • Soundqualität
  • Zuverlässigkeit
  • VST-Einbindung

Kontra

  • teilweise unübersichtliche Fensterlayouts
  • Sample-Map-Verwaltung


Weiterführende Links bei MEMI:

Weitere Links zum Thema:

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Autor: Roland Reinke, 24.09.2002 Ein Service von MEMI.